Jubiläum: Seit 100 Jahren werden in der Marsch legendäre Reitpferde gezüchtet. In vierter Generation betreibt die Familie Lienau die Station, die aus einem Bauernhof mit Schankwirtschaft hervorging.
Haselau. Was zieht Holländer und Belgier wieder und wieder in die Haseldorfer Marsch? Was fasziniert Schweizer und Italiener derart an Haselau, daß der Name des Örtchens bis in die Alpen und darüber hinaus bekannt ist? Des Rätsels Lösung heißt "Contender". Er ist ein Holsteiner Hengst und Vertreter einer langen Reihe von prächtigen Tieren, die der Holsteiner Verband am Haselauer Landhaus der Familie Lienau aufgestellt hat. Die Tradition der Hengststation begann mit "Omar" - und zwar genau vor 100 Jahren. Die älteste Station der Art in ganz Schleswig-Holstein soll am Sonnabend, 17. Juni, ab 13.30 Uhr gebührend gefeiert werden. In mittlerweile vierter Generation betreibt die Familie Lienau die Station. Mit Heinrich, damals Besitzer eines normalen Bauernhofs samt Schankwirtschaft, fing es an. Sein Enkel Otto Lienau ist zwar noch aktiv, gibt aber das Geschäft mehr und mehr in die Hände von Schwiegersohn Gunnar Mohr. Er erzählt: "Früher gab es überall im Land ein dichtes Netz von Stationen mit Deckhengsten. Es gab ja noch keine Autos und Hänger mit denen man Stuten durchs Land kutschieren konnte." Das hat sich ebenso geändert wie die Einsatzgebiete der gezüchteten Pferde. Waren es einst Arbeitstiere für die Landwirtschaft, so sind es heute durchweg Sportpferde, die das typisch abgerundete Holsteiner "H" auf den Hintern gebrannt bekommen. In den 100 Jahren betreute die Familie Lienau Pferde, die selbst und deren Nachkommen in der Reiterszene wegen ihrer Eigenschaften zu Legenden geworden sind. "Loretto" beispielsweise, der wegen hervorragender Grundgangarten sehr gute Reitpferde hervorbrachte. Oder "Ladykiller", der mit seinen Genen die Holsteiner in den 60er Jahren sportlicher gemacht hat. Seinem Sohn "Landgraf", der als Jahrhundert-Hengst gilt, weil so viele seiner Nachkommen auf Turnieren hervorragend abschnitten, wurde sogar ein Denkmal gesetzt. Eine romantische Pferde-Idylle mit Hengsten und Stuten, die verliebt über Wiesen galoppieren, bevor es bei Sonnenuntergang ans leidenschaftliche Fortpflanzen geht, findet man allerdings höchstens noch in Hollywood-Schinken; auf jeden Fall nicht in Haselau. Das hat mehrere Gründe. "Zum einen ist die Verletzungs- und die Infektionsgefahr für Stute und Hengst bei der natürlichen Paarung groß", so Gunnar Mohr. Zum anderen ist die künstliche Besamung effektiver. Während der Decksaison wird "Contender" täglich seine kostbare Flüssigkeit von Mohr und den Tierärzten Dr. Jürgen Fischer und Dr. Nataly Klus auf eher unerotische Art abgenommen. Dann wird sie in zwölf bis 18 Portionen aufgeteilt und den Stuten auf nicht weniger unromantische Art injiziert. Kosten für den Stuten-Besitzer: 1200 Euro plus Mehrwertsteuer. Im Natursprung wären höchstens drei Stuten pro Tag zu decken. Doch wenn schon die Liebe zu kurz kommt, so ist doch wenigstens der Erfolg wahrscheinlich. Zum einen beim Decken, weil die Tierärzte den optimalen Zeitpunkt genau auswählen - und viel später dann dank der guten Anlagen der Tiere auf dem Turnierplatz.
Hamburger Abendblatt / Pinneberger Zeitung Von Jörg Frenzel 14. Juni 2006
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